Ein Jahr nach der Einführung des Cannabisgesetzes in Deutschland bleibt die Zukunft der Cannabislegalisierung ungewiss. Das Gesetz, das am 1. April 2024 in Kraft trat, entkriminalisiert den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit und 50 Gramm zu Hause für Erwachsene über 18 Jahren. Es erlaubt auch den Heimanbau von bis zu drei Pflanzen und ermöglicht die Gründung von gemeinnützigen Cannabisvereinigungen für den gemeinsamen Anbau. Die Einführung von Cannabisclubs ist jedoch aufgrund politischer Veränderungen auf Hindernisse gestoßen.
Tribe, eine Raucherlounge in Berlin, will ein anspruchsvolles Umfeld für den Cannabiskonsum bieten und sich von traditionellen Kifferklischees distanzieren. Gründer Stefan Röhrl, der zuvor Clubs in Barcelona und Ibiza leitete, stellte sich einen Raum vor, in dem Gäste Cannabis in einem geselligen Rahmen, ähnlich wie in einer Bar, genießen können.
Trotz der anfänglichen Entkriminalisierung ist die zweite Phase des Cannabisgesetzes, die ein Pilotprogramm für den begrenzten kommerziellen Verkauf umfasst, auf erhebliche Verzögerungen gestoßen. Der Zusammenbruch der vorherigen Koalitionsregierung im November 2023 hat ein politisches Vakuum geschaffen, das weitere Fortschritte erschwert hat. Die neue Regierung, die von der Christlich-Demokratischen Union (CDU), der Christlich-Sozialen Union (CSU) und der Sozialdemokratischen Partei (SDP) gebildet wurde, hat das Genehmigungsverfahren für Lizenzen für Cannabisverbände verlangsamt. Bislang wurden nur etwa 200 der mehr als 600 Anträge genehmigt.
Die strengen Auflagen für diese Vereine schaffen zusätzliche Hürden. Sie müssen mindestens 100 Meter von Orten entfernt sein, die von Minderjährigen besucht werden, und der Konsum vor Ort ist verboten. Diese Vorschriften schmälern den sozialen Aspekt des Cannabiskonsums, da die Vereinigungen kein einladendes Umfeld für die Konsumenten schaffen können. Frederik Blockslaff, ein Anwalt, der die Vereine unterstützt, stellt fest, dass die finanzielle Belastung für die Gründung dieser Clubs zwischen 100.000 und 1 Million Euro liegt, was einige dazu veranlasst, externe Investitionen zu suchen.
In dem Maße, wie sich das politische Klima ändert, entwickelt sich auch die öffentliche Meinung gegenüber Cannabis. Schätzungen gehen davon aus, dass der legale Verkauf nur etwa 6 Prozent des gesamten Cannabismarktes in Deutschland ausmacht. Die Zahl der Menschen, die sich medizinisches Cannabis verschreiben lassen, nimmt jedoch zu, da der Zugang jetzt einfacher ist. Ab August 2024 können 21 medizinische Fachrichtungen Cannabis ohne vorherige Genehmigung der Versicherungsträger verschreiben. Dies hat zu einem erwarteten Anstieg der Verschreibungen auf 4 Millionen in den nächsten vier Jahren geführt, was einem jährlichen Umsatz von etwa 2 Milliarden Euro entspricht.
Tribe arbeitet nach den bestehenden Vorschriften für medizinisches Cannabis und erlaubt es den Gästen, ihr eigenes Cannabis mitzubringen, das entweder auf ärztliche Verschreibung oder aus dem eigenen Anbau stammt. Röhrl hat auch eine telemedizinische Plattform entwickelt, um den Zugang zu Rezepten direkt in der Lounge zu erleichtern.
Trotz der Herausforderungen fördern Cannabis-Vereinigungen wie die Blum in Berlin die Gemeinschaft durch Veranstaltungen, noch bevor sie ihre erste Ernte einfahren. Mitbegründerin Zoe Killing betont, wie wichtig es ist, ein inklusives Umfeld zu schaffen, in dem alle Menschen willkommen sind, auch diejenigen, die sich normalerweise nicht als Cannabiskonsumenten identifizieren.
Während sich die politische Landschaft weiter entwickelt, wurden Bedenken hinsichtlich einer möglichen Rücknahme der Legalisierungsmaßnahmen geäußert. Rechtsgerichtete Politiker haben das derzeitige Modell kritisiert, wobei CDU-Vertreter die Absicht geäußert haben, strengere Vorschriften für Online-Rezepte einzuführen. Die Regierung plant, das Cannabisgesetz Ende 2025 neu zu bewerten, was Diskussionen über eine mögliche Überarbeitung der Besitzgrenzen und eine Verschärfung der medizinischen Vorschriften ausgelöst hat.
Experten sind der Meinung, dass Pilotprogramme für den kommerziellen Verkauf, ähnlich denen in der Schweiz und den Niederlanden, wertvolle Daten zur Unterstützung breiterer Legalisierungsbemühungen in ganz Europa liefern könnten. Daniel S. Hübner von der Humboldt-Universität zu Berlin unterstreicht die Notwendigkeit fundierter Daten, um Politiker von den Vorteilen eines regulierten Verkaufs zur Schadensbegrenzung zu überzeugen.
Während die politischen Debatten weitergehen, betonen viele Befürworter die Dringlichkeit, Cannabisreformen voranzutreiben. Jamie Pearson, Gründer der New Holland Group, fordert die Gesetzgeber auf, sich auf eine evidenzbasierte Politik zu konzentrieren, anstatt einer angstbasierten Rhetorik zu erliegen. Da der illegale Markt immer noch funktioniert, ist die Nachfrage nach legalem Cannabis nach wie vor hoch, und die Chance für Deutschland, bei der Regulierung von Cannabis in Europa eine Vorreiterrolle zu spielen, steht auf dem Spiel.